05.02.2022
In der Zeitschrift Kernpunkte (Print) erschien die Erstveröffentlichung eines Interviews mit Samuel Riggenbach, Initiator und Team-Mitglied von humanitas. Wir drucken hier das gesamte Interview in voller Länge ab.
Interview mit Samuel Riggenbach
Wie bist Du auf die Idee für eine solche Karte gekommen?
Die Situation der letzten zwei Jahre brachte zwei Phänomene hervor, welche gewissermassen zusammenhängen. Auf der einen Seite wurde sozusagen das Problem für viele Menschen sichtbar, wie un-richtig das öffentliche Schulsystem ist. Es wurde plötzlich zu einem persönlichen Problem. Und gleichzeitig, oder eben dadurch, entstanden unzählige Gruppen, insbesondere in Telegram, welche sich über dieses Situation, oder anders: über ihr Problem, austauschten. Dabei merkte ich: all dieser Austausch in diesen Gruppen ist eigentlich nicht Zielführend. Zum Teil bekommt man ein Tip, oder ein Dokument oder Link, der einem weiterhilft. Aber das meiste ist ein sich-aufregen über neue Massnahmen. Oder das Posten von solchen News (ohne wirklichen Nutzen). Für mich wurde klar: ein wirkliches Arbeiten an der Zukunft, ein wirklicher Wandel kann nur dann erfolgen - das ist meine Überzeugung - wenn sich Menschen real treffen, real ihr aktuelles, im Jetzt befindendes, lokals "Problem" besprechen und dafür eine Lösung suchen. Und dazu braucht es tendenziell niemand, der 300km wo anders lebt. Aber es braucht eigentlich so viele wie möglich, welche eben lokal das gleiche oder ähnliche wollen. Daher eben die Idee, dies über eine Karte zu ermöglichen.
Wie funktioniert denn das?
Wenn man auf die Webseite geht, sieht man auf der Karte alle eingetragenen Adressen. Man sieht auch den Namen und die Grundkategorie - ob es sich um Eltern handelt oder um Lehrer und bei den Organisationen sieht man, welches Angebot sie anbieten. Also z.B. ob es ein vorschulisches Angebot ist oder eine Grundschule. Möchte man nun mit einem Menschen oder mit einer Organisation in Kontakt treten, dann muss man selber Mitglied der Webseite sein, also ein Konto eröffnen. Das geht in 2 Minuten, es braucht nur ein Name und eine E-Mail-Adresse. Ab dann kann man über ein Kontaktformular mit den Menschen in Kontakt treten. Das gute ist, dass somit keine E-Mail-Adressen veröffentlicht werden. Wenn ich also einem Menschen eine Nachricht schreibe, dann bekommt dieser ein Mail auf seine E-Mail-Adresse und gleichzeitig wird dem Adressaten/der Adressatin in diesem Mail auch meine E-Mail-Adresse bekannt gegeben. Somit kann er mich dann auf privatem Wege zurück schreiben. Die Suche der anderen Menschen soll also wirklich über die Karte funktionieren, aber die Interaktion soll dann komplett ausserhalb unserer Plattform erfolgen.
Hat humanitas denn etwas mit Corona zu tun?
Nein, im Prinzip nicht. Einersetis beschäftige ich mich seit Jahren - oder Jahrzehnten mit dem Schulwesen. Aber wie oben erwähnt wurde gewissermassen ein aktuelles Problem erschaffen - oder ich sah ein solches - und wollte dafür eine Lösung anbieten. Meines Erachtens ist es einfach der Druck, der steigt - sozusagen auch der Leidensdruck der Menschen. Und leider werden die Menschen meistens erst dann wirklich aktiv, wenn die Situation erfordert, dass etwas geändert wird. Somit hat humanitas nicht wirklich mit Corona etwas zu tun - aber sicher wäre die Karte ohne Corona nicht jetzt entstanden.
Was ist Dein Background?
Mein Vater war Lehrer an einer Waldorfschule - ich selber ging 12 Jahre auf die Rudolf Steiner Schule Basel. Daheim war somit die Waldorfpädagogik und auch sonst die entsprechende Geisteshaltung von Kindheit an eine Realität. Nach meiner Schulzeit verlief mein Leben, abgesehen von der Lehrlingsausbildung, wo ich aktiv war, ausserhalb schulischen Fragestellungen. Aber ich verfolgte das Bildungswesen trotzdem immer interessiert und aktiv. Habe ein ganzen Ordner voll von Artikeln über die Schule, über den Lerhplan21, über die Erziehung etc. Tendenziell war und bin ich immer sehr kritisch eingestellt über dieses System, welches meiner Meinung nach einen falschen "Menschen" heranzüchtet.
Bist Du denn persönlich betroffen von der Situation?
Ja absolut. Unsere Kinder gehen zwar auch auf die Steiner Schule, aber leider müssen sich diese ebenfalls an die fremdbestimmten Massnahmen halten. Natürlich haben wir die Schulschliessung der Birseckschule {Waldorfschule in Äsch, Baselland, Anm.d.R.} beobachtet. Dieses "Exempel-Statuieren" - das macht Eindruck. Und aufgrund dieser Entwicklung haben sich Menschen zusammengefunden - am Anfang vor allem aus unserer Schule, aber dann auch aus der Region Basel, wo wir uns im Sommer {2021, Anm.d.R.} mehrfach trafen und uns überlegten, eine neue Schule zu gründen. Dies und eben meine Mitgliedschaft in vielen online Gruppen, welche sich für Homeschooling oder andere Bildungssysteme engagieren, brachte mich dann auf die Idee, humanitas zu realisieren.
War die Umsetzung einfach?
Aus meiner Erfahrung in der IT-Projektleitung konnte ich meine Idee klar formulieren und die "Requirements" (Anforderungen) gut darlegen. Somit war es für die Programmierer einfach, die Idee umzusetzen. Natürlich waren wir im intensiven Austausch über Detail-Lösungen, wie z.B. die Sicherheit für die angemeldeten Nutzer. Für mich war eher der zeitliche Faktor der, welcher mir unter den Nägeln brannte. Als ich im September {2021, Anm.d.R.} die Idee hatte, konnte es mir nicht schnell genug gehen, diese zu realisieren...
Wie sieht es denn bezüglich der genannten Sicherheit aus?
Sicherheit ist ja immer relativ und sehr vielschichtig. Einerseits stehen unsere Server in der Schweiz, wir nutzen Wordpress als Plattform, das Login geschieht somit in Wordpress, was ja eine der meistgenutzten Webseiten ist. Die Frage ist daher viel mehr, was die Menschen für Angaben von sich machen und wie eine Plattform wie humanitas map damit umgeht. Und da ist uns absolut bewusst, dass natürlich z.B. der Name oder die Adresse sehr persönlich sind. Wir glauben zwar nicht, dass die Information, "dass man sich für eine alternative Schulbildung interessiert oder einsetzt", irgendwelche rechtlichen Folgen, Nachteile oder Probleme mit sich bringt. Aber in der heutigen Zeit gibt es natürlich auch Menschen, welche anderen Böses wollen, einfach aufgrund einer anderen Weltanschauung. Man sieht das z.B. durch das zerstören von Plakaten, welche die Freiheit propagieren. Somit können wir verstehen, dass es Menschen gibt, welche eventuell ihren Namen oder ihre Adresse nicht angeben wollen. Und dies ist bei humanitas gut möglich: man kann für die öffentliche Angabe zum Beispiel nur den Vorname angeben, oder gar ein Pseudonym. Auch erfolgt keine Überprüfung der Adresse. Falls es jemanden wohler ist, kann sie/er somit z.B. eine andere Hausnummer angeben, oder nur die Strasse. Die E-Mail-Adresse wird sowieso nicht öffentlich bekannt gegeben. Wir glauben somit, ein Anmelden ist dadurch sehr sicher und jede gewünscht Anonymität kann gewährleistet werden. Ich selber bin jedoch mit Name und exakter Adresse angebeldet, denn ich glaube, dass Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit die nötigen Werte für eine lichtvolle Zukunft sind.
Wie läuft humanitas denn momentan? melden sich Menschen an?
ich glaube, ich bin etwas ungeduldig. Es haben sich in den ersten paar Wochen weit über 600 Menschen angemeldet - leider erfassen dann viele keine Adressen. Nur etwa 200 haben eine Adressen erfasst. Uns ist das etwas ein Rätsel, da wir nicht genau wissen, warum. Eventuell meinen die Menschen, mit der Anmeldung auf der Webseite sei es schon erledigt. Oder sie melden sich nur an, um andere kontaktieren zu können - aber dass dies 400 Menschen tun, wäre sehr komisch. Natürlich versuchen wir dies mittels Kommunikation mit den Mitgliedern zu optimieren - aber man kann ihnen auch nicht jede Woche ein Newsletter schicken, und der Mensch ist ja auch frei und eigenverantwortlich - oder sollte es sein... Abgesehen von diesem Phänomen bemerken wir, dass in Deutschland und Österreich die Anmeldungen sehr spärlich erfolgen. Einerseits habe ich dort sicher nicht so eine gute Vernetzung wie in der Schweiz, andererseits sind dort die Menschen eventuell etwas vorsichtiger oder wissen nicht, dass sie sich eben relativ anonym anmelden könnten, wenn sie das möchten.
In welchen Ländern ist denn humanitas aktiv?
Mir war von Beginn an klar, dass ich die Webseite auf deutsch starte. Und mir war auch klar, dass ich sie - wenn sie schon auf deutsch ist - grad in allen deutschprachigen Ländern aktiviere. Somit ist es momentan in Deutschland, Österreich, Lichtenstein und der Schweiz möglich, Adressen zu erfassen. Gleichzeitig ist mir natzürlich klar, dass schon nur die Schweiz mehrsprachig ist. Ich bekam auch schon das Angebot von einer Freundin, die Seite auf italienisch zu übersetzen. Aber dies hätte mehrere Auswirkungen. Also wenn schon eine weitere Sprache (vor allem Französisch oder Italienisch), dann wäre ja die logische Konsequenz, die Karte dann auch in Frankreich und Italien zu aktivieren. Aber es ist ja nicht nur die Übersetzung, denn wenn man andere Sprachen/Länder anbietet, kommen sofort auch Fragen, Probleme, Inputs, etc. von Menschen aus diesen Ländern. Und es wäre mir nicht möglich, dann auch noch fremdsprachige Mails zu beantworten - vor allem von der Kapazität, nicht mal von der Sprache her.... da müsste dann ein Team im Hintergrund sein, welches sich einbringen würde...
A propos Team - wer ist denn humanitas map?
in erster Linie bin das sicher ich. Aber ich habe einige tolle Menschen, welche mich hilfreich unterstützen. Dies vor allem bei strategischen Fragen, oder Fragen bezüglich Kommunikation, Texte, Werbung etc. Aber das rein Operative, also eben z.B. das Beantworten von Fragen, die Interaktion mit den Webentwicklern, etc., das kommt von mir respektive hängt an mir.
Wer finanzierte das Ganze?
Die Kosten für so ein Projekt sind ja mehschichtig. Wir konnten relativ viel "inhouse" machen, also aus dem Kernteam. Diese Stunden wurden und werden allesammt ehrenamtlich geleistet. Ich denke, das waren so um die 60-100 Stunden bis jetzt. Die Programmierung der Webseite hat ein toller Partner für uns gemacht. Diese Kosten wurden momentan von einem Menschen aus dem Team getragen. Natürlich hoffen wir, dass mit der Zeit Spenden eingehen, damit wir eben weitere Funktionen einbauen können. Das Ziel ist in jedem Fall, dass die Plattform weiterhin kostenlos bleibt.
Noch eine letzte Frage: für wen ist denn die Karte konkret?
Eigentlich ist es einfach: humanitas map ist eine Bildungskarte. Der gemeinsame Nenner sollte natürlich sein, dass man sich eine alternative, freie Bildung wünscht. Also eine Staatsschule soll sich dort nicht anmelden. Aber sonst soll es um jegliche Bildung gehen: also vom Vorschulischen Angebot bis zur Erwachsenen-Weiterbildung. Wenn sich eine Organisation erfasst, kann sie bis zu 6 Kategorien aktivieren: Vorschule, Grundschule, Hochschule sowie Lehre, Erwachsenenbildung und Praktikum. Werden es mit der Zeit mehr Angebote auf der Karte, dann soll es auch Filter geben, wo man sich nur die einzelnen Institutionen anzeigen kann - also zum Beispiel nur alle Lehrbetriebe. Auf der anderen Seite ist die grosse Stärke von humanitas map, dass sich neben Institutionen eben auch Menschen als solche anmelden können. Da gibt es zwei Grund-Kategorien: die Kategorie "Eltern" und die Kateogrie "Lehrer". Bei den Eltern ist es klar: das sind Menschen, die einen Ort für ihre Kinder suchen. Bei der Kategorie "Lehrer" sollen sich alle Menschen anmelden, welche in einem schulischen Zusammenhang aktiv werden wollen, also Lehrerinnen und Lehrer, Hauswarte, Sekretariats-Mitarbeiter.innen und so weiter. Kurzum: die Karte ist für alle Menschen und Institutionen, welche sich für neue und freie Bildungsangebote einsetzen.
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(5.1.2022)